Von Lothar Binding
Die Kapitalverkehrsfreiheit, einer der vier Grundfreiheiten innerhalb der EU, ist einer der Gründe für die Entstehung der globalen Finanzmärkte, wie wir sie heute kennen. Diese Entwicklung bringt Schwierigkeiten für die Durchsetzung der nationalstaatlichen Besteuerungsansprüche mit sich. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat hierzu wertvolle Vorarbeiten geleistet und internationale Rechtsgrundsätze zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von Einkommen und Vermögen, zu Transparenz und effektivem Auskunftsaustausch in Steuerangelegenheiten sowie zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung entwickelt. Würden sich alle Länder fair verhalten und die Prinzipien des OECD-Musterabkommens umsetzen, gäbe es viel weniger Probleme. Leider ist dies nicht so. Das Bewusstsein, dass ihnen ihr Steuerregime zwar einen wichtigen Standortvorteil im internationalen Wettbewerb verschafft, gleichzeitig aber vielen anderen Ländern empfindlichen Schaden zufügt, ist in diesen Staaten, Finanzzentren und Hoheitsgebieten allerdings nur gering ausgeprägt.
Die Steuerbehörden in Deutschland stehen daher vor der Herausforderung, dass einige Staaten und Gebiete keine oder nur sehr geringe Steuern erheben. Gleichzeitig verweigern diese Steuerdumpingzonen allerdings den Zugang zu Informationen, die für die Besteuerung in Deutschland zwingend erforderlich sind. Dazu gehören insbesondere Bankinformationen und Informationen über Eigentumsverhältnisse an Stiftungen oder Briefkastenfirmen, die der Steuerflucht dienen. Verschwiegene Informationen des Steuerbürgers und vorenthaltene Informationen aus den Steueroasen schmieden so einen Komplott zwischen deutschem Bürger und Steueroasenstaat zur organisierten Steuerumgehung.
Dieser schädliche Steuerwettbewerb geht zulasten der überwiegend steuerehrlichen Bürger und Unternehmen. Wer Steueroasen schützt und den Kampf gegen Steuerhinterziehung verhindert, untergräbt die Fundamente der sozialen Marktwirtschaft. Denn steuerehrliche Bürger und Unternehmen hierzulande, aber auch Entwicklungsländer sind die Geschädigten. Soziale Gerechtigkeit, Chancengleichheit und ein handlungsfähiger Staat sind nur durch eine faire und gleichmäßige Besteuerung möglich. Dem deutschen Staat gehen durch Steuerhinterziehung jährlich Milliarden Euro an Steuereinnahmen verloren.
Internationale Kooperation und Unterstützung
Um diese Entwicklungen weiter einzudämmen und zurückzudrängen, sind wir auf internationale Kooperation und Unterstützung angewiesen – etwa bei der Überarbeitung der EU-Zinsrichtlinie oder beim automatischen Informationsaustausch zwischen den Steuerbehörden zweier Länder. In den vergangenen Jahren haben wir mit den anderen Mitgliedstaaten der EU bereits Instrumente entwickelt, die den Missbrauch steuerrechtlicher Regelungen wirksam bekämpfen – auch wenn Schwierigkeiten in der Rechtsanwendung noch Schlupflöcher offenlassen, die von Steuersündern ausgenutzt werden. Wir sind etwa mit dem Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften (SEStEG) Steuergestaltungen begegnet und haben zahlreiche Steuerschlupflöcher geschlossen. Mit der Unternehmensteuerreform 2008 haben wir Maßnahmen wie die Sofortbesteuerung an der Grenze und die starke Einschränkung der grenzüberschreitenden Verlustverrechnung eingeführt; Gestaltungsmöglichkeiten bei Verrechnungspreisen wurden mittels Funktionsverlagerung drastisch eingeschränkt, um die Gewinnverlagerung ins Ausland deutlich zu erschweren und zu reduzieren. Der Erfolg dieser Maßnahmen, ergänzt durch die Hinzurechnungen bei der Gewerbesteuer, lässt sich anhand der seit 2008 deutlich gestiegenen Gewerbesteuereinnahmen in den Städten, Kreisen und Gemeinden deutlich messen.
Die Erfahrungen der Vergangenheit haben allerdings auch deutlich gemacht, dass unverbindliche Absichtserklärungen von Finanzzentren, moralische Appelle an Steuerehrlichkeit und Solidarität, und sogar zwischenstaatliche Vereinbarungen und Verträge über Transparenz und Kooperation in Steuerangelegenheiten zur Bekämpfung schädlicher Steuerpraktiken nicht ausreichen.
Viele Staaten und Hoheitsgebiete profitieren von ihren steuerlichen Rahmenbedingungen, mit denen sie Steuerhinterziehung erleichtern oder überhaupt erst ermöglichen. In geschickten Winkelzügen nutzen sie beispielsweise in Vertragsverhandlungen zu Doppelbesteuerungsabkommen angebliche Unklarheiten in der Rechtsauslegung und -anwendung von Art. 26 des OECD-Musterabkommens, der den Informationsaustausch in Steuersachen regelt. Diese Staaten verweigern die Informationsweitergabe in Fällen, in denen im Inland ansässige Kontoinhaber betroffen sind – mit dieser Auslegung lässt sich durch die Einschaltung von Treuhändern, Stiftungen oder Briefkastenfirmen, die den wirtschaftlich Begünstigten einer solchen Rechtskonstruktion gegenüber dem Fiskus abschirmen, ein effektiver Informationsaustausch zwischen Steuerbehörden natürlich leicht aus den Angeln heben …
Wo fängt der Betrug an?
Ein besonderes Problem stellt dabei die unterschiedliche Definition von Betrug dar. In Deutschland ist Steuerhinterziehung Betrug. Bei der Betrugsbekämpfung hilft z.B. die Schweiz gern mit. Allerdings ist Steuerhinterziehung in der Schweiz kein Betrug. Erst in Verbindung mit Urkundenfälschung wird aus Steuerhinterziehung in der Schweiz Betrug.
Den internationalen Kampf gegen Steuerhinterziehung wollen wir deshalb auch mit einem bereits in erster Lesung eingebrachten schärferen Gesetz in Deutschland unterstützen. Der leider im notwendigen Kompromiss mit der CDU-Fraktion erarbeitete deutlich wirkungsschwächere Entwurf sieht vor, Steueroasen und Finanzzentren zu mehr Transparenz und Zusammenarbeit in Steuerangelegenheiten – also nicht nur bei Verdacht auf Betrug oder Hinterziehung – zu bewegen. Die deutschen Finanzbehörden sollen damit alle Informationen erhalten können, die für die Aufklärung grenzüberschreitender Sachverhalte, die Durchführung eines normalen Besteuerungsverfahrens und zur Ahndung von Steuerhinterziehung notwendig sind.
Bürgerinnen und Bürger, die Kapitalanlagen im Ausland haben, müssen gegenüber dem Finanzamt Auskunft über ihre Kapitaleinkünfte geben, etwa indem sie ihre Bank im Ausland anweisen, die für die Besteuerung erforderlichen Informationen über Kontostände oder die wirtschaftlich Berechtigten dieser Konten den deutschen Behörden mitzuteilen. Kommen sie ihren Mitwirkungs- und Aufbewahrungspflichten nicht nach oder halten die Auskünfte einer Prüfung durch die Finanzbehörden nicht stand, kann das Finanzamt den Werbungskostenabzug einschränken oder komplett versagen.
In ähnlicher Weise sehen die Regelungen vor, von Unternehmen, die Geschäftsbeziehungen zu Steueroasen unterhalten, eine bessere Zusammenarbeit einzufordern und ihnen Nachweispflichten aufzuerlegen. Auch hier kann die steuerliche Absetzbarkeit von Betriebsausgaben teilweise oder ganz gestrichen werden.
Steuerfahnder, Finanzverwaltung und -gerichte, Wissenschaftler und Sachverständige, Gewerkschaften und die überwiegende Mehrzahl der Verbände und zivilgesellschaftlichen Gruppen haben diese Überlegungen bei der ersten Bundestagsanhörung begrüßt und die Notwendigkeit von nationalem und internationalem Druck auf die Steueroasen unterstrichen. Manche der geladenen Sachverständigen, hier wohl besser: Interessenvertreter, taten sich leider allerdings sehr schwer damit, auf einfache Fragen nach Geschäftsmodellen oder Kunden klar, vernünftig und nachvollziehbar zu antworten:
- Welche Rolle spielen deutsche Banken und Anlageberater bei der Steuerhinterziehung?
- Wie gelangt das Geld ins Ausland?
- In welche Anlageformen und Rechtskonstruktionen fließt das Geld im Ausland?
Licht ins Dunkel
Wo auch mehrfache Nachfragen kein Licht ins Dunkel der Antworten bringen konnten, sind allerdings auch bewusst ausweichende, nebulöse oder inhaltsleere Ausführungen vielsagend ...
Aufschlussreich war auch die auffallende Zurückhaltung, ja fast schon Desinteresse bei mancher Fraktion während der Befragung der Sachverständigen und Interessenvertreter bei der ersten Anhörung im Finanzausschuss. Bei manchem Zuhörer entstand verständlicherweise der Eindruck, dass diese Verhinderungs- und Verschleppungstaktik die Versäumnisse einiger unionsgeführter Bundesländer bei der personellen Ausstattung der Steuerfahndung verschleiern und vornehmlich den Interessen der eigenen, gutverdienenden Klientel dienen soll. Dies ist auch daran zu erkennen, dass es keine Mehrheit im Bundestag für eine Bundessteuerverwaltung gibt. Sie könnte eine sehr viel effizientere Steuerfahndung betreiben als die Länder, unter denen es nicht wenige gibt, die eine schwache Steuerfahndung als Standortvorteil verkaufen.
Hoffentlich lässt sich dieser Eindruck des Parteikalküls bei der zweiten öffentlichen Anhörung zu diesem Thema am 25. Mai 2009 korrigieren. Wir vertrauen daher darauf, dass die weiteren parlamentarischen Beratungen des Gesetzentwurfs mit einer politischen Ernsthaftigkeit und Entschlossenheit betrieben werden, die der breiten gesellschaftlichen Unterstützung der Bekämpfung der Steuerhinterziehung gerecht wird.
- Dossier: Wege aus der Weltwirtschaftskrise